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10. Mai 2021

Digitale Besucherlenkung – Zukunftsmusik?

Die Frage, wie sich Besucherströme sinnvoll regulieren und zur Zufriedenheit aller (um-)lenken lassen beschäftigt Akteure aller touristischen und tourismusnahem Ebenen in Rheinland-Pfalz seit Jahren. Standen zuvor Overtourism und Nutzungskonflikte (z.B. zwischen Wandereren und Mountainbikern) im Fokus der Diskussion, zwingt uns die Corona-Pandemie einen anderen Blick auf dieses Thema auf. Das Thema ist komplex und die Digitalisierung eröffnet viele Möglichkeiten. Welche dieser Möglichkeiten sind in und für den Rheinland-Pfalz Tourismus sinnvoll? Welche können mit niedrigen Einstiegshürden umgesetzt werden? Welche Voraussetzungen braucht es, welche sind bereits erfüllt und was muss noch getan werden, um hier weiter zu kommen? Wie lassen sich für unser Bundesland die besten Lösungen finden und umzusetzen?

Die Anforderungen und Bedingungen der Besucherlenkung unterscheiden sich je nach Art der Sehenswürdigkeit. Handelt es sich um Veranstaltungen oder andere Touristenattraktionen für die ein Ticketkauf notwendig ist, wie zum Beispiel Museen und Ausstellungen kann über vorab-Ticketkäufe und buchbare Timeslots, via Websites, Ticketshops oder telefonisch, Besucherlenkung erfolgen. Solche Reservierungs- und Ticketingsysteme zur Kontingentierung sind bereits erfolgreich und gängige gelernte und von den Gästen akzeptierte Praxis, die natürlich optimiert und ausgebaut werden kann und sollte.

Ein weiterer großer touristischer Schwerpunkt sind die Übernachtungs- und Gastronomiebetriebe. Hier ist eine übergeordnete Besucherlenkung durch Landesmarketing-Organisationen nicht priorisiert, da über Vorab-Buchungen schon eine Lenkung stattfindet. In diesem Bereich geht es vor allem um gut gepflegte und strukturierte Daten, die möglichst als Open Data vorliegen sollten.

Die größten Herausforderungen an die Besucherlenkung stellen für uns die touristischen Angebote in der Fläche, also Rad- und Wanderwege, Innenstädte, Parke und Touristenattraktionen, bei denen es weder Einlasskontrollen noch die Notwendigkeit zum Erwerb von Eintrittskarten gibt. Hier geht es einerseits um Prognosen zum Gästeaufkommen, die wiederum von verschiedenen Faktoren wie Jahreszeiten, Ferienzeiten, Wettervorhersagen etc. abhängig sind, um in der Inspirationsphase schon eine gewisse Regulierung anstoßen zu können. Andererseits dann auch um das Handling wenn Besucheraufkommen ganz aktuell zu groß werden, Parkplätze überfüllt sind und der Naturgenuss für den Gast zum Frust wird weil die Frequenz zu groß ist.

Grundlage für jede Art von Besucherlenkung sind vor allem tragfähige Daten. Mit unserem Digitalen Wissensschatz verfügen wir bereits über eine große Menge nutzbaren redaktionellen Contents und statischer Daten. Das heißt, wir haben schon inspirierende Texte, Bilder und Videos sowie Informationen zu Öffnungszeiten, Preisen, Sicherheits- und Hygienekonzepten, Adressen, Alternativangeboten wegen Coronaschließungen etc. Diese statischen Daten sind vor allem geeignet, die Gäste schon in der Phase der Vorbereitung auf die Reise, also der Inspirationsphase, abzuholen und zu leiten. Während der Recherche und Buchung können vor allem die inspirierenden Texte und Bilder die Urlaubspräferenzen beeinflussen. An dieser Stelle können dann auch gezielt Sehenswürdigkeiten nicht kommuniziert werden, nämlich für Zeiten in denen ein (zu) hohes Besucheraufkommen erwartet wird. Attraktive Alternativangebote tragen zur effektiven Schonung natürlicher Ressourcen bei und auch die Gästezufriedenheit steigt. Kanäle wie Blogs, Bewertungsplattformen, Influencer-Marketing und Social-Media unterstützen dabei die Ausspielung über eigene Kanäle wie Apps und Websites. Die Stärke der digitalen Kommunikation liegt hier vor allem in der Geschwindigkeit. Kurzfristig und bedarfsorientiert können bestimmte Inhalte eingesetzt werden, um Gäste bereits vor dem Aufenthalt zu lenken.

Aber auch wenn die Besucher angereist sind kommt den statischen Daten noch eine große Bedeutung zu. Immer häufiger werden nicht alle Aktivitäten von zuhause aus geplant und gebucht, viele Gäste recherchieren je nach Lust und Wetter vor Ort was sie wann unternehmen möchten.
Um eine möglichst effiziente aktuelle Besucherlenkung vor Ort zu ermöglichen sind aber vor allem Echtzeitdaten erforderlich. Diese fehlen in Rheinland-Pfalz meist. Schon heute ist es möglich mithilfe der entsprechenden technischen Ausstattung gut nutzbare Daten zu generieren. Es geht vor allem darum, unmittelbar auf große Besucherströme zu reagieren und Overtourism gar nicht erst entstehen zu lassen – und zwar sowohl im städtischen Bereich und bei Sehenswürdigkeiten als auch im Naturraum auf Rad- und Wanderwegen, an Seen oder in Parken. Via Lasersensorik, Kameras oder WLAN Tracking ist es heute bereits möglich, anonyme Daten zum aktuellen Besucheraufkommen in bestimmten Bereichen zu erfassen. Insbesondere im innerstädtischen Raum und Touristenattraktionen können so datenschutzkonform Personenzahlen in Echtzeit erhoben werden und über ein Ampelsystem, über Apps oder Terminals für potentielle Besucher sichtbar gemacht werden. Induktionsschleifen können zur Messung von Besucherzahlen vor allem im Naturraum genutzt werden. Best Practice Beispiele (siehe unten) zeigen, was in diesem Bereich schon erfolgreich genutzt wird.

Open Data – raus aus dem Kirchturm

Allein die Daten vorzuhalten oder zu erheben ist aber für eine gut funktionierende Besucherlenkung nicht ausreichend, sie müssen auch jederzeit an den Gast gebracht werden. Dabei bestimmt der Besucher selbst über den Ausgabekanal den er nutzen möchte. Smartphones, Smartwatch, Tablet, Desktop, Sprachassistent oder Laptop werden sowohl zuhause bei der Planung wie am Urlaubsort genutzt um Informationen abzurufen. Je nach Situation und Gewohnheit werden Websites, Apps, Bewertungsportale, Buchungsportale und Suchmaschinen wie Google aufgerufen, daher ist es wichtig möglichst alle relevanten Informationen, Bilder und Storys in all diesen Kanälen verfügbar zu machen. Gäste hinterfragen nicht, wer die Informationen zur Verfügung stellt, für sie ist wichtig, vollständige, aktuelle und richtige Informationen zu Ausflugszielen, Restaurants, Sehenswürdigkeiten zu erhalten. Allerdings können Destinationen mit gut gepflegeten, relevanten, aktuellen Informationen eine gewisse Vertrauensbasis mit den Gästen aufbauen. Für die Destinationen wiederum ist es wesentlich, die eigenen Informationen ausspielen zu können und den Gast im eigenen Sinne zu erreichen. Nur so kann auch eine Besucherlenkung sinnvoll funktionieren.

Daraus ergibt sich die unbedingte Notwendigkeit einheitlich gepflegte und strukturierte Daten so zur Verfügung zu stellen, dass sie von allen Kanälen, die Besucher nutzen möchten auch gelesen und verarbeitet werden können. Dabei ist es irrelevant, ob es sich um eigene Kanäle wie Websites oder Apps handelt oder um fremde Kanäle wie Suchmaschinen oder Buchungsportale. Ausschlaggebend ist einzig die nahtlose Information der Gäste.
Die Dateninfrastruktur ist also quasi das Fundament auf dem auch die digitale Besucherlenkung erst möglich wird. Alle Daten – also die redaktionellen, statischen und dynamischen Daten – müssen so aufbereitet werden, dass sie auf möglichst allen Kanälen zur Verfügung stehen. Das heißt sie müssen maschinenlesbar strukturiert sein, einem offenen Standard entsprechen und mit freien Lizenzen ausgestattet sein.

Best practice Beispiele

Die Lübecker Bucht ist mit einem Strand-Ticker an den Start gegangen und zieht eine insgesamt positive Bilanz. Die Entzerrung der Besucherströme erfolgt auch hier über ein Ampelsystem, die Datengrundlage liefern Sensoren. Gäste können so schon die Auslastung der Strände prüfen bevor sie sich auf den Weg machen.
Besonders hervorzuheben ist der Ansatz, die Informationen von vorneherein als Open Data zu hinterlegen. So können sie zukünftig mit weiteren Daten Wetter, Verkehrsaufkommen, Saisonzeiten etc. aggregiert werden und damit Prognosen möglich machen. Außerdem können die Informationen so über verschiedene Kanäle ausgespielt werden – auch über “nicht eigene” wie google. Ein weiterer Pluspunkt für Open Date ist die Möglichkeit anderen Destinationen problemlos Anknüpfungspunkte zu ermöglichen. Besucherlenkung endet bekanntlich nicht an Orts- oder Ländergrenzen (mehr).

Einen „Urlaubs-Kompass“ haben Bad Peterstal-Griesbach (Baden-Württemberg) und Birkenfeld (Rheinland-Pfalz) gemeinsam eingerichtet. Das System hilft bei der Optimierung der örtlichen Besucherinformation und -lenkung. Das Besondere daran ist, dass die beiden Projektregionen 300 Kilometer voneinander entfernt liegen. Viele Daten aus verschiedenen Quellen werden digital zusammengeführt: Wegedaten, POI’s und Störungen auf Wanderwegen, Gastgeberinfos, ÖPNV- und Wetterdaten, Umweltdaten, Besucherfrequenzen auf Wanderwegen. Zusammen helfen diese Daten über die Ausspielung gezielter Informationen an den Gast bei der Besucherlenkung. Damit wirkt der Urlaubs-Kompass nachhaltig gegen Overtourism-Problematiken. In der Corona Pandemie hat er sich bereits bewährt. In Zukunft soll die Auslastung der Wanderparkplätze an den Nationalparkzentren mit einfließen und entsprechend zu dem Hinweis zur möglichen ÖPNV-Nutzung führen. Die Informationen werden auf vorhandenen Endgeräten wie Handys oder TV im Gästezimmer sowie auf Infoterminals in der Hotellobby oder an stark frequentierten Orten in Echtzeit ausgespielt

Ein Besuchertracking mit Ampelsystem hat sich in Sankt Peter-Ording bewährt. Die Fußgängerzone, die Strandzugänge und Parkplätze stehen hier im Fokus. Um Gäste und in Echtzeit darüber zu informieren wie besucht die Orte sind, werden an den entsprechenden Hotspots Daten mit Kamera-, Laser- und WLAN-Impulsmessung erhoben, ausgewertet und digital ausgespielt. Ein einfaches Ampelsystem zeigt dem Benutzer auf Infoscreens und mobilen Endgeräten, ob der Strandzugang möglich ist oder auch weniger frequentierte Orte.

Die anonymisierten Daten werden in einer zentralen Open-Data-fähigen Schleswig-Holstein-Datenbank gesammelt, um dann ortsspezifisch über bestehende Kanäle ausgespielt zu werden. An das System können weitere Destinationen angeschlossen werden. Auch eine Verknüpfung mit anderen Datenbanken, wie zum Beispiel Wetterdaten oder Verkehrsinformationen, soll zukünftig möglich sein und damit Voraussagen ermöglichen (mehr).

Im Rahmen einer Digitalisierungsoffensive hat Bad Salzufflen unter anderem die SalzufflenCARD aufgelegt. Die Gäste registrieren sich bei den Gastgebern digital wobei jede Gästekarte individuell codiert ist. In Kombination mit einem neuen, elektronischen Eingangs- und Zutrittssystems mit stationären und mobilen Scannern an stark frequentierten Punkten wie Parkeingängen, bei Kurkonzerten oder am Brunnenausschank können so Daten in Echtzeit erhoben und ausgewertet werden. Die Zahl der Zutritte wird erfasst und kann unmittelbar zur Besucherlenkung genutzt werden und zusätzlich ist eine Auswertung bezüglich der genutzten Leistungen der SalzuflenCARD möglich (mehr).

 

Der Weihnachtsmarkt Ravennaschlucht war dank Besucherlenkung auch im Corona Jahr möglich. Um den einzigartigen Weihnachtsmarkt in der Ravennaschlucht im Hochschwarzwald mit mehr als 40 Ausstellern auch 2020 Wirklichkeit werden zu lassen setzten die Veranstalter auf Besucherlenkung durch Kontingentierung der Besucherzahlen zusätzlich zu einem strengen Hygienekonzept. Eintrittskarten für den Weihnachtsmarkt wurden ausschließlich im Vorverkauf per Online-Buchung sowie über die Tourist-Informationen im Hochschwarzwald ausgegeben. Festgelegte Time-Slots von durchschnittlich zwei Stunden haben gewährleistet, dass zu keiner Zeit die maximale Besucherfrequenz überschritten wurde. Das digitale Buchungssystem bot den Gästen verschiedene Ticketvarianten an. Vor allem die Eintrittskarten mit reserviertem Sitzplatz im Shuttlebus von den Bahnhöfen waren begehrt. Für die Auto-Anreise war die Ticketanzahl streng limitiert, da jedes Ticket mit einer Parkplatzreservierung kombiniert war. Für Fußgänger gab es Wandertickets (mehr).

In Rheinland-Pfalz lassen sich auf Grundlage des digitalen Wissensschatz Rheinland-Pfalz verschiedene Maßnahmen zur Besucherlenkung umsetzen, z.B. Alternativangebote oder Sperrungen (siehe Link).

Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass digitale Besucherlenkung in Zukunft an Bedeutung gewinnen wird. Voraussetzung sind erstens durchdachte Konzepte, die den jeweiligen Ansprüchen vor Ort Rechnung tragen und nicht an Regionen- oder Ländergrenzen enden. Zweitens braucht es ein tragfähiges Datenfundament aus statischen-, redaktionellen- und dynamischen (Echtzeit) Daten, die in einer offenen, strukturierten Datenarchitektur für alle denkbaren Marktteilnehmer lesbar und nutzbar sind. Nicht zuletzt muss Besucherlenkung für alle Beteiligten, also auch für die Gäste einen spürbaren Mehrwert darstellen.

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